Die Bernsteinhexe
in der Kirche zu Koserow
Wirklicher kann Schauspiel wohl kaum sein. Wilhelm Meinholds „Bernsteinhexe“ dort aufgeführt, wo der Roman selbst beginnt. Mit der lange fälligen Aufführung der Bernsteinhexe hier in Koserow dürfte den Machern von „Klassik am Meer“ ein wahrer Publikumsrenner gelungen sein. Da kommen die vier Akteure Ulrich Müller Hönow als Abraham Schweindler (Pfarrer zu Koserow), Francis Sieler als Maria Schweindler, Christian Bahrmann als Wittich von Appelmann (Amtshauptmann zu Pudagla) und Astrid Bless als Lise Kolken den langen Gang der Kirche entlang geschritten, auf die Bühne vor dem Altar und sprechen den Text der Vorrede des Meinholdschen Romans: „In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre, und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als 200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der dortigen Kirche und fast zu ebener Erde in einer Art Nische … das in Schweinsleder gebundene Manuskript …“
Und gleich schon fühlen wir uns versetzt in jene Zeit des Dreißigjährigen Krieges, schließlich sitzen wir in jener Kirche von der die Rede ist, mit all dem unendlichen Leid, der Grausamkeit und dem Hunger. Meinhold der 1843 mit seinem Bericht über den Fund des Augenzeugenberichtes eines Hexenprozesses auf der Insel Usedom alle an der Nase herum führte und sich die Geschichte nur ausgedacht hatte, fesselt uns mit dem Bericht gleichermaßen, wie Millionen von Lesern bis in die heutige Zeit hinein. Sein Buch wurde viele Male verlegt und erschien bereits 1844 in englischer Sprache.
Hier in dieser Kirche in Koserow in der wir seit einigen Jahren die Aufführungen von „Klassik am Meer“ erleben dürfen, war er, Meinhold selbst, Pfarrer. In einer sehr gelungenen Inszenierung versetzen uns die Schauspieler und die von Ihnen bewegten Puppen in eine Zeit der Intrigen, Grausamkeiten und des Elends. Meinhold gibt die Grundlage für die Figuren auf der Bühne, die einstmals tatsächlich hier auf der Insel Usedom gelebt haben und nun in der Koserower Kirche zu neuem Leben erweckt werden. Nur kurz ist das Glück, als Maria am Fuße des Streckelberges eine Bernsteinader findet und der Fund in Wolgast der Herzogsstadt zu Geld gemacht wird, um davon etwas Essbares für die ganze Pfarre Koserow zu kaufen. Bald schon wird die Pfarrerstochter das Opfer von Intrigen und schließlich der Hexerei verdächtigt. Wir leiden mit ihr und an so mancher Stelle im Stück hätte man die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können, so still sind alle und bangen.
Doch am Ende entgeht sie knapp dem Scheiterhaufen und aus der traurigen Szene wird ein alle ergreifender Glaube an das Gute im Menschen. Lang anhaltender Beifall dankt den Akteuren für Ihre Darbietung und lässt ein wunderschönes Erlebnis ausklingen.
Die original verwendeten Meinholdschen Worte tragen neben der darstellerischen Kraft der Schauspieler sicher mit dazu bei, dass wir glauben, was wir erlebt haben, obwohl es doch nur eine erdachte Geschichte war. Und wer Lust bekommen hat auf Lesen, der besorge sich eine Ausgabe des Romans von Wilhelm Meinhold im Antiquariat (neuere Ausgaben haben den originalen Text meist zu sehr verändert) und leide noch einmal mit Maria und ihrem Vater …
Internet: www.klassik-am-meer.de
Matthias Gründling